Gastkommentar von Lorenz Huber in der Wiener Zeitung – 17. Januar 2018

Seit 5. Jänner ist die Aufzeichnung des Neujahrskonzerts der Wiener Philharmoniker im Handel. Das Orchester beweist wieder einmal, dass es nicht nur musikalisch, sondern auch bei der Vermarktung Weltspitze ist. Bemerkenswert ist dabei, dass dem Presto furioso des Marketings ein Andante ma non troppo der musikalischen Arbeit gegenübersteht. So bezeichneten Vorstand Daniel Froschauer und Geschäftsführer Michael Bladerer am 1. Jänner auf Ö1 die bereits 47 Jahre währende Zusammenarbeit mit Riccardo Muti als Erfolgsgeheimnis. Er kenne das Orchester wie kein anderer und sei somit ein Garant für klangliche Kontinuität. Die Frage nach der Zukunftsstrategie wurde vor allem mit der Fortsetzung der Orchestertradition beantwortet. Wie es scheint, wird bewusst eine Doppelstrategie aus Be- und Entschleunigung verfolgt.

Damit sind die Wiener Philharmoniker nicht allein. Die Berliner Philharmoniker sind mit ihrer „Digital Concert Hall“ Vorreiter in der weltweiten Vermarktung von Livestreams, Archivaufnahmen und Backstage-Reportagen. Die erzielte hohe Eigenwirtschaftlichkeit gibt ihnen künstlerischen Freiraum. Dieser wird aber konsequent als Ruhezone gegen die digitale Reizüberflutung verteidigt.

Eine Arbeitskultur des Aufbruchs ohne Ankunft

Das Beharren auf einer intensiven, von persönlicher Beziehung geprägten Zusammenarbeit zeichnet Spitzenorchester weltweit aus. Sie haben gelernt, nur jene Möglichkeiten der Digitalisierung anzuwenden, die ihre Identität und Kreativität unterstützen, und jene zu ignorieren, die äußerliche Geschwindigkeit, aber inneren Stillstand erzeugen. Daraus können Organisationen, Managementteams und Führungskräfte einiges lernen.

In meiner Arbeit mit Führungskräften begegnet mir ständig eine Arbeitskultur des Aufbruchs ohne Ankunft. Die Digitalisierung fördert und beschleunigt Routinetätigkeiten, und wir müssen in der Teamarbeit darauf achten, dass jeder sein Solo bekommt. Das Orchester ist das plastische Beispiel, um dies für Teams nachvollziehbar zu machen. Ich glaube, dass die Führung nicht alle Möglichkeiten der Synchronisation und der Kontrolle, die heute durch Digitalisierung möglich sind, ausschöpfen sollte. Man muss sie da einsetzen, wo es sinnvoll und hilfreich ist, und dem Team immer auch einen Freiraum für Eigeninitiative und Selbststeuerung lassen.

Die Bedeutung des Schlussakkords

Das gemeinsame Musizieren, die tatsächliche Zusammenarbeit in und mit Teams, die Produktentwicklung, die eigentliche Kreativität muss im echten Miteinander passieren, erst danach kann für Vermarktung und Veredelung die Digitalisierung eingesetzt werden. Was wir – als Führungsteam – von der Musik lernen können, ist, dass jedes Stück ein Ende hat. Das Schöne beim Dirigieren ist, dass Führungskräfte einfach einmal Schluss machen können. Und das Schöne für die Musiker ist es, das Ende zu sehen und sich bis dahin noch einmal steigern zu können. Führungskräfte können von der Musik lernen, wo immer es geht, ihrem Team ein Ende schon vorab anzukündigen, sich mit ihm zum Ende hin noch einmal zu steigern, einen kraftvollen Abschluss zu machen und dann die Hände und den Kopf frei zu haben für die nächste Aufgabe.

Lorenz Huber

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